Geografisch liegt Sizilien im Zentrum des Mittelmeers, zwischen Orient und Okzident, Afrika und Europa. Im Osten dominiert die Insel mit gewaltiger Präsenz der Schildvulkan Ätna, seine Masse/Fläche beträgt 1190 km2 und seine Höhe 3357 Meter. In Zeiten vulkanischer Aktivität sind seine aus der Ferne zu sehenden Rauchsäulen und Lavaströme ein fantastischer Anblick, der schon seit Urzeiten die Fantasie der Bevölkerung und der Seefahrer angeregt hat. Aus diesem Grunde entwickelten sich im Laufe der Jahrtausende eine Vielzahl von Mythen, Sagen und Legenden, die sich um den Berg ranken und in denen sich die Vorstellungen von einst bewahrt haben.
Der Name Ätna kommt wahrscheinlich aus dem indogermanischen und bedeutet so viel wie "brennend". Die alten Sizilianer nennen ihn heute “Mongibello", den schönen Berg. Mir wurde er liebevoll als ”Mama Etna” vorgestellt. Dies ist die Version, die mich persönlich anspricht und die ich hier weitergeben will.
In der griechischen Mythologie spielte Ätna eine bedeutende Rolle. Im Kampf um die Vorherrschaft über das Universum besiegte der Gottkönig Zeus mithilfe seiner Blitze den Typhon, ein riesiges Drachen-Schlangen-Monster, das daraufhin lebendig unter dem Berg begraben wurde. Wenn sich das Monster heute windet, bebt die Erde und wenn es atmet, nehmen wir dies als Eruptionen wahr.
Laut einem weiteren Mythos befindet sich die Schmiede des Gottes Hephaistos (bzw. seiner römischen Entsprechung Vulcanus) wahlweise auf den Inseln Stromboli, Vulcano oder aber im Ätna. Hier halfen ihm die Zyklopen dabei, die göttlichen Attribute, wie zum Beispiel die Blitze des Zeus, zu schmieden. Hephaistos (bzw. Vulcanus) wurde als ein unattraktiver und hinkender Gott beschrieben, der mit Aphrodite (bzw. Venus), der Göttin der Liebe und der Schönheit, verheiratet war. Diese soll ihn im Laufe ihrer langen Ehe häufig betrogen haben. In diesen Momenten soll der Feuergott seine vulkanische Esse derart stark angeschürt haben, dass es zu heftigen Eruptionen kam.
Nun kommen wir zu meinem persönlichen Lieblings-Mythos. Dieser handelt vom Zyklopen Polyphem, dem Odysseus hier laut Homer in der Ilias bei seinen Irrfahrten begegnete. Von diesem werde ich später noch ausführlich berichten.
Die Geschichte, die mich zu der Gliederung dieses Buches inspirierte, handelt von dem griechischen Philosophen Empedokles. Dieser ist der Nachwelt mit seiner Lehre der vier Elemente und nicht zuletzt seinem legendären Freitod, dem Sprung in den Ätna, im Gedächtnis geblieben. Seine Geschichte werde ich im nächsten Kapitel erzählen.
Seit dem Einzug des Christentums auf Sizilien haben die Mythen der Griechen und Römer ihre gesellschaftliche Relevanz weitgehend verloren und wurden durch christliche Legenden ersetzt. Im dritten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte in der römischen Provinzstadt Catania, am Fuße des Ätna, die später heiliggesprochene Agatha. Diese hat sich der Legende nach für ihren christlichen Glauben zu Tode foltern lassen und wurde nach ihrem Tod heiliggesprochen. Nach ihrem Ableben haben ihre Reliquien, besonders ihr Schleier, der Bevölkerung von Catania mehrfach dabei geholfen, die Stadt vor den Lavaströmen zu retten. Sie gilt heute unter anderem als die Schutzpatronin der Feuerwehr und der Vulkan-Interessierten. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Februar eine große Prozession in Catania veranstaltet und ich möchte ihr dieses Buches widmen!
Tausend Jahre später lebte der Stauferkönig Friedrich II, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, auf Sizilien. Es gibt von ihm eine Sage, die berichtet, dass er am Ende seiner Tage in den Ätna ritt, um in Zeiten der größten Not von dort zu uns zurückzukehren.
Mir wurde berichtet, dass die Bauern heutzutage glauben, dass der Vulkan lebt und einen weiblichen Charakter hat. Wenn ein Lavastrom einem Haus zu nahe kommt, decken sie den Tisch und öffnen eine gute Flasche Wein. Der dahinterliegende Gedanke ist, dass diese Geste “Mama Etna'' erfreut und sie dadurch das Haus verschont. Angeblich hat es schon so manches Mal funktioniert.