Im Laufe meines mehrmonatigen Aufenthalts in Neapel und der intensiven Beschäftigung mit der Geschichte des Vesuvs und der Phlegräischen Felder realisierte ich, dass es für mich drei besonders relevante Aspekte gibt, die ich fotografieren und ausarbeiten wollte.
Zum einen ist es die Geschichte des Vesuvs und seiner Umgebung. Über die Jahrhunderte zog es viele Künstler nach Neapel, die alle das Ziel hatten, den Vulkan und seine Eruptionen abzubilden. Manche hatten Glück und kamen in Zeiten hoher vulkanischer Aktivität. Andere, so wie ich, warteten vergebens und mussten ihre Fantasie bemühen und sich mit dem Wolkenspiel und der eigenen Imagination zufriedengeben. Meine Fotos sind eine Interpretation des klassischen Themas der neapolitanischen Veduten und bilden bewusst einen starken Gegensatz zu den bekannten Abbildungen des Vesuvs und der Campania Felice.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Idee der „Sozialen Eruption“ und der Vorstellung von Aus- oder Einblicken in einen Vulkankrater.
Das dritte Kapitel „Songs of the Sea“ erzählt die Geschichte des Reisens und der Schifffahrt. Mein Urgroßvater Max Beckmann malte einst Bilder mit Titeln wie „Odysseus mit Sirene“ und „Landschaft mit Vesuv“. Der Gedanke, dass nun auch ich über den Umweg der Vulkane zu genau diesem Thema und seinen geschichtsträchtigen Schauplätzen gekommen bin, hat mich ungemein begeistert und war der Ausgangspunkt zu diesen Arbeiten.
Der Vesuv:
Vulkane sind Schnittpunkte, an denen sich Anfang und Ende der Welt kreuzen. Neues wird von ihnen geschaffen und Altes vergeht. In ihrer Nähe stehe ich gedanklich im Hals einer großen natürlichen Sanduhr und habe die Möglichkeit, beidseits in den Mahlstrom der Zeit zu blicken. Vulkanismus ist eine Kraft, die unseren Planeten seit Anbeginn geformt hat und bis zu seinem Ende formen wird.
Unter all den Vulkanen der Welt spielt der Vesuv für uns Europäer eine besondere Rolle. Er war es, der zur Zeit der Aufklärung im Zentrum der Debatte um die Entstehung der Welt und ihr Alter stand. An ihm entwickelten Forscher die Grundlagen der modernen Geologie und Vulkanologie und Gelehrte führten die berühmte Wissenschaftsdebatte der Neptunisten vs. Plutonisten. Letztendlich war es Alexander von Humboldt, der als Erster verstand, dass alle Vulkane unserer Erde mit einem heißen inneren Kern in Verbindung stehen und der Vesuv nur einer unter vielen ist.
Heute ist die Umgebung des Vesuvs und der Phlegräischen Felder eine der am dichtesten besiedelten Gegenden Italiens und von der einstigen Schönheit Kampaniens künden nur noch die Bilder und Schriften vergangener Zeiten.
Die Umgebung des Vesuvs erscheint mir unnatürlich, denn sie zeigt die Narben von dreitausend Jahren Siedlungs- und Kulturgeschichte. Sie erinnert mich an eine verwüstete, abgewirtschaftete und apokalyptische Landschaft, die nicht mehr vom Vulkanismus, sondern von etwas weitaus Verheerenderem, dem Menschen, gezeichnet ist.