Autunno (Die Bäume des Ätnas)
Seit meiner Jugend begleiten mich Bäume auf meinem Lebensweg. In Oberbayern, auf dem Land, verbrachte ich große Teile meiner Kindheit im Wald, beim Staudamm bauen, Verstecken spielen und Pilze suchen. Seitdem üben Bäume eine besondere Anziehungskraft auf mich aus, und ich verbinde viele meiner Kindheitserinnerungen mit ihnen.
Eine meiner frühesten Erinnerungen gilt den drei Buchen, die vor unserem Haus standen und deren Schatten unseren Sandkasten beherbergte. An einem ihrer Äste hing eine lange Schaukel, die uns viele unbeschwerte Stunden bescherte und dank derer noch heute eine große Narbe meine Unterlippe ziert. Diese Bäume mit ihren großen grauen Stämmen, die wie Elefanten ihre Jungen, uns Kinder unter ihrem üppigen Blattwerk bei unseren Spielen hüteten, haben ein Gefühl der Zugehörigkeit in mir hinterlassen, das ich bei meiner Motivsuche auf dem Ätna wiederfand.
Die Erinnerung an die langen Wochen, in denen wir in den dunklen Wintertagen darauf warteten, dass der Schnee schmilzt, der Frühling Einzug hält, das Grün der Blätter und das Leben zurückkehren, während sich die Türen des Hauses wieder öffneten und wir nach draußen in den Schoß der Natur zurückkehren durften, ist tief in mir verankert und hat die Idee der vier Kapitel/Jahreszeiten unterbewusst mit beeinflusst.
Ach, wie schön waren dann die Frühlinge und Sommer, ein ständiges Umherstreifen im Garten, beim Gemüse, in den Obstbäumen, am Fluss und im nahen Wald, mit der Unbeschwertheit und Sorglosigkeit der kindlichen Seele im Schatten der uralten Bäume.
Ende des Herbstes kam die Zeit, das Laub zu rechen, und es bildeten sich große Haufen, in die man springen konnte, um sich dort zu verstecken, einzubuddeln wie die Igel, denn das hatten wir schnell verinnerlicht: Nach den gefallenen Blättern kommt der Winter, die Zeit der Kälte und des Schnees und natürlich Weihnachten. Darauf musste man sich vorbereiten, und wo konnte man dies besser als in den großen Laubhaufen?
Ich glaube, dass ich mit den Buchen die Jahreszeiten kennenlernte und deren Wechsel vom freudlosen, winterlichen Kahl im eisigen Schnee zu den zarten grünen Sprossen des Frühlings, dem sommerlichen dichten, berauschenden Blätterdach bis hin zu den leuchtenden roten Herbstfarben als eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens empfand und diese mich zu einem Mitteleuropäer machte.
Eines Tages beschloss mein Vater, aus heiterem Himmel, eine einzelne Buche auf der anderen Seite des Hauses, deren Schatten ihn störte, zu fällen. Ich erinnere mich noch an den großen, gefällten Baum, unter dem wir viele Sommer verbracht hatten, der dann wie ein großer Walfisch im Garten lag, um langsam in seine Einzelteile zerlegt, filetiert und aufgeteilt zu werden. Im Nachhinein war das vermutlich der Anfang vom Ende meiner unbeschwerten Kindheit. Meine Eltern ließen sich scheiden, ich verließ den Schutz der Bäume, und die Stadt wurde mein neues Zuhause.
Auf der Suche nach Themen und Motiven, die mich berühren und die die Geschichte der Vulkane und deren Kraft erzählen, entdeckte ich sie wieder: die Bäume, die Helden meiner Kindheit. Diesmal fand ich sie in einem neuen Kontext. Waren es früher starke, an Elefanten erinnernde Kolosse, die mir Halt und Kraft gaben, so sind es diesmal die Überlebenden, die Kämpfer an den Hängen des Ätnas, die dem uralten Rhythmus der Elemente unterworfen sind und dort trotz aller Widrigkeiten gedeihen. Auf eine Weise fand ich mich dort auch wieder. Aus dem Kind, das einst unter den Buchen spielte, ist langsam ein Kämpfer geworden, dem man das Alter und die Kämpfe ansieht und der sich heute am wohlsten fühlt, wenn er in Wind und Wetter auf den Hängen des Ätnas spaziert.